DIE GEWISSHEIT DES UNBEGREIFLICHEN

Eine Erinnerung an den Physiker und Querdenker Hans-Peter Dürr

Sendetermin:     14. Mai 2015, 18.05 Uhr, Bayern 2

Regie:                 Claus Biegert

Sprecherin:        Gudrun Skupin

Zitator:               Hans Kremer

Musik:                Schubert, 2. Satz aus: Klaviertrio Es-Dur, D 929, op. 100, A: Beaux Arts Trio

Text wird noch formatiert

O-Ton 01: aus NDR-Talk Show / über Musik
Das finde ich ganz schrecklich: Wenn ich Quantenmechanik unterrichte, und ich sage, ich hab den Leuten Quantenmechanik gelehrt, damit sie hinterher Laser bauen (auch) zur Abwehr von Raketen und so fort, und dass sie nicht ihre ganze Intelligenz verwenden können für irgendetwas, was wirklich konstruktiv ist, dann belastet mich das außerordentlich.
Musik kurz hoch
O-Ton 02: Dürr / über Musik
Die neue Physik kann man nicht so einfach verstehen, sondern man kann sie nur verstehen, wenn man versteht, dass man sie nicht verstehen kann, dann beruhigt man sich, dass man eine ganz andere Art zu denken braucht, dass man nicht am Ende sagt, jetzt hab ich‘s begriffen, sondern dass man sagt: Es ist nicht greifbar!
Musik kurz hoch
O-Ton 03 Dürr / über Musik
Es gibt keinen Big Bang, sondern es bangt die ganze Zeit.
Musik kurz hoch
O-Ton 04: Dürr / über Musik
Nachhaltigkeit müssen wir dynamisch interpretieren, ich interpretiere Nachhaltigkeit nicht wie im Englischen Sustainability , aus dem es auch herkommt, die Fähigkeit to sustain, die Dinge zu lassen, wie sie sind, NEIN, sondern dass wir das Lebendige auch lassen wollen, was heißt, dass es morgen anders ist als heute, und deshalb übersetz ich Nachhaltigkeit für mich: Das Lebende lebendiger werden lassen.
Musik kurz hoch
Sprecherin:
Die Gewissheit des Unbegreiflichen
Eine Erinnerung an den Physiker und Querdenker Hans-Peter Dürr
Von Claus Biegert
Musik (Blende) Straßengeräusche/ Berkeley Campus
Autor:
Berkeley, die kalifornische Universitätsstadt an der Pazifikküste. Ein Student aus Stuttgart und ein Professor aus Budapest treffen aufeinander. Der Schwabe: Hans-Peter Dürr, der Ungar: Edward Teller. Ein unbeschriebenes Blatt der eine, eine Koryphäe  des Atomzeitalters der andere. Beide sollen im Lauf ihres Lebens Geschichte machen und als Naturwissenschaftler an ihre Grenzen gehen. Doch ihre Geschichten können gegensätzlicher nicht sein.
Sprecherin:
Berkeley ist ein Zentrum der Kernphysik; hier wurde 1949 in einem Teilchenbeschleuniger ein Transuran mit der Ordnungszahl 97 entdeckt und nach Berkeley benannt: Berkelium.
Autor:
Es sind die 50er Jahre: Der Eiserne Vorhang trennt Ost von West. In Hiroshima und Nagasaki hat die Welt ihre Unschuld verloren. Nicht lange wird es dauern bis in Vietnam die Bäume ihre Blätter verlieren. Albert Einstein bedauert, je den Brief an Präsident Roosevelt geschrieben zu haben, in dem er zum Bau der Atombombe gegen Hitler riet. Die Atombomben hießen Fat Man und Little Boy – als wollten die USA  der Welt zeigen, wie man mit Sprache den Tod kaschiert. Agent Orange wird erfunden – kein Vitaminsaft, sondern der Entlaubungs-Killer im Krieg gegen den Vietkong. Das Wettrüsten zwischen den Weltmächten beginnt. Die Atombombe soll künftig für Angst und Frieden sorgen. Aus der Riege der amerikanischen Bombenbauer steigen jene aus, die erkennen, dass nukleare Abschreckung keinen Weltfrieden schaffen kann. Der Kernphysiker Edward Teller bleibt der Bombe treu. Seine ersten Wasserstoffbomben werden im Südpazifik getestet; sie heißen Mike und King; viele weitere sollen folgen.  Bald spricht man von Teller nur mehr als dem „Vater der Wasserstoffbombe“.
O-Ton 05: HP Dürr
Es war der größte Schock in meinem Leben.
Autor:
Dürr und Teller. Wie kommt ein traumatisierter Physikstudent aus dem zerbombten Deutschland zum Bombenbauer in die USA? Eine Nachkriegsgeschichte der besonderen Art.
O-Ton 06: HP Dürr
Zu Beginn des Krieges war ich gerade zehn Jahre alt, und ich hätte eigentlich vom zehnten Jahr an jemand gebraucht, dem ich mehr Fragen stellen hätte können, aber da hat s sich ja alles schon aufgelöst, damals, ich habe eine ganz ungewöhnlich Jugend gehabt, (…) wo eigentlich die einzige Frage war, wie man überlebt.
Musik:
Autor:
Hans-Peter Dürr, geboren am 7. Oktober 1929, wuchs in Feuerbach auf, einem Stadtteil von Stuttgart. Der Vater war Mathematiklehrer, die Mutter, eigentlich ausgebildete Hauswirtschaftslehrerin, das Zentrum der Familie. Ihre sechs Kinder zog sie alleine auf.
O-Ton 07: Dürr
Ich hatte immer den Eindruck, dass meine Mutter nicht ganz sich ganz ausgelastet fühlte, wenn nur sechs Kinder um den Tisch saßen, und sie uns immer animiert haben, auch Freunde mit nach Hause zu nehmen, dass es immer zehn werden, oder so. Weil sie sagte: Eine erwachsene Person ist doch nicht ausgelastet mit sechs Kindern.
Autor:
In der Familie wurde viel musiziert, jedes Kind spielte ein Instrument, Hans-Peter erst Klavier, dann Cello, dem blieb er lebenslang treu. Die Musik hatte ein Ende, als Hitler am 1. September 1939 Polen überfiel. Vom Semmelholen kam die Mutter mit der Nachricht zurück, dem Bäcker fehle der Gehilfe; der war eingezogen worden. Hans-Peter sollte aushelfen, beschloss kurzerhand die Mutter; also stand er um fünf Uhr auf und ging vor der Schule in die Backstube. Als 1944 die Häuser brannten, gehörte er zu denen, die zwischen den Trümmern verkohlte Leichen für ein Massengrab aufsammelten.
O-Ton 08: Dürr
Ich hab meine ganze Jugend geopfert, ich hab Stollen in den Berg gebaut, in der Nacht zwischen 1 und 4 Uhr, bei Bombenangriffen, auch ein Teil der Bevölkerung unterzubringen, mein Leben war auch ausgefüllt mit ganz lebensnotwendigen Dingen. Und als der Krieg zu Ende war, war ich der Kriminelle, bin auch noch im Gefängnis gesessen, … es war so offensichtlich, dass es so nicht weiter gehen kann, ja, und es war auch genau die Suche nach: wem kann ich überhaupt noch trauen?
Autor:
Ins Gefängnis gebracht hatte ihn der Geheimdienst des amerikanischen Militärs. Grund: Wehrwolfverdacht. Hans-Peter, inzwischen 16 Jahre alt, hatte als sogenannter „Forschungshelfer“ an einem Geheimprojekt mitgearbeitet, bei dem es, so hatte man den Oberschülern erklärt, um eine Wunderwaffe Hitlers ging. Nach 14 Tagen Einzelhaft wurde er ohne Begründung wieder entlassen. Vor ihm lag eine Strecke von Ratlosigkeit und Orientierungsverlust.
O-Ton 09 Dürr
Ich war sehr introvertiert,… mich hat einfach umgetrieben der Himmel, also ich hab dann immer mir die Sterne angeschaut in der Nacht, ich hab selber mir ein Teleskop gebaut, um das noch besser zu sehen, in der Nacht war ich dann immer da und hab nach oben geguckt, ich war sehr in mich gekehrt, (…) dass ich in diese Physik reingekommen bin, also eigentlich zu nächst nur, um auf dem Nichts irgendetwas aufzubauen, was ich selber nachprüfen kann, und dann war es die Physik, die eben genau in dem Umschwung war, es war eine Rede von Heissenberg 1946, er kam grad zurück von England und hat einen Vortrag im Radio gehalten, und er sagte, das einzige, was uns hilft als Menschheit, dass wir solche Kriege nicht haben, ist, dass wir uns den Dingen widmen, die man beweisen kann, wo man sich einigen kann, wo es nicht nur eine Meinungssache ist, wo man etwas nachkontrollieren kann. Er hat gleichzeitig auch gesagt, aber die Welt, die wir suchen, wo man alles beweisen kann, die gibt es gar nicht, sondern die ist ganz anders, (…) Dann sagt er gleichzeitig, das Wesentliche kann man gar nicht ausdrücken, und dann war man mit einem großen Fragezeichen da und (wollte wissen, was ist denn das, was gemeinsam ist und man kann es nicht ausdrücken?) Und dann bin ich eigentlich neugierig geworden (…) die Neugiere war eine Notwendigkeit, mich einfach zu orientieren in dieser Welt.
Autor:
Gleich nach dem Krieg das Abitur, doch vor dem Physikstudium lag noch ein Kurs an der Volkshochschule.
O-Ton 10 Dürr
Ich hab dann einen Kurs genommen in der Volkshochschule in Stuttgart, ganz primitiv, wo ich etwas über die neue Physik gehört habe, das war die Physik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, das klingt ja wahnsinnig interessant, aber ich versteh nichts, dann hab ich gebeten, ob ich den Kurs nicht nochmal nehmen kann, aber ich konnte ihn nicht bezahlen, dann hab ich einfach gesagt, ich bediene den Projektor, wenn du den Projektor bedienst, dann kannst du da drin sitzen, dann hab ich den Kurs dreimal gehört und hab immer noch nichts verstanden, und dann war mir’s klar, das ist es, was ich mir vornehme, das zu verstehen, was ich nicht verstehe.
Autor:
Ein Stipendium, durch seinen Stuttgarter Professor vermittelt, bringt ihn schließlich in die USA, nach Berkeley. Auf der Suche nach einem Doktorvater trifft er auf Edward Teller, der gerade an die University of California berufen worden ist und noch keine Doktoranden hat. Zuvor hatte Teller mit Oppenheimer in Los Alamos die erste Atombombe entwickelt. Aber das weiß Dürr nicht.
O-Ton 11 Dürr
Ich kam zu Teller hin, es stellte sich heraus, er war ein Schüler Heissenbergs, Leipzig 1930. Ich sagte, das ist ja phantastisch, ich hab gar nicht nach Heissenberg gesucht, jetzt treff ich seinen Schüler. Dann bin ich sein Doktorand geworden. Einige Monate später kam die Bikini-Bombe im die erste große Wasserstoffbombe, geglückt, doppelt so stark wie berechnet, alle haben gefeiert, meine Kollegen, und Teller auch, ich sagte, warum feiert ihr denn? Es ist Unsere Bombe! (…) Ich dachte, ich werde verrückt, ich wollte alles tun, dass ich webbleibe von all dieser Physik, die ja eine Anwendung hat, die ja nur für Macht missbraucht wird, jetzt bin ich genau dort angekommen, wo ich den Vater der Wasserstoffbombe gefunden hab. (…) die haben dauernd von Sweet Problems gesprochen, wenn etwas unlösbar erscheint, eine Wasserstoffbombe zu bauen, egal, überhaupt etwas zu entwickeln, das millionenfach stärker ist als eine chemische Detonation … sweet problem, was passiert eigentlich in deren Köpfen? (…) Ich war so erschreckt, dass ich dachte, selbstverständlich, ich werde weggehen, ich habe über Antimaterie gearbeitet, die nichts mit den Experimenten zu tun hatte, ich hab ihm sofort die Frage gestellt: Dr. Teller, warum bauen Sie überhaupt Bomben? 1954, warum bauen Sie Bomben? Ah, sagte er, Hans-Peter, sehen Sie, wir sind heute an einem Punkt angelangt, einmalig, um den Frieden auf Erden für immer zu garantieren, wenn der Beste gleichzeitig auch der Militärstärkste ist, und in Zukunft es so einrichten kann, dass er doppelt so stark bleibt wie der Rest der Welt, dann haben wir die Voraussetzung eines Friedens für immer. Es hat mich so wahnsinnig schockiert, ich dachte, es ist ein Witz, aber es war kein Witz (…) und ich sagte dann, Doktor Teller, …es erinnert mich, dass ich so etwas schon früher gehört habe, dann sagte er, Augenblick mal, damit kein Missverständnis kommt, ich hab gesagt, wenn der Beste der Militärstärkste ist, dann sagte ich: … jetzt krieg ich wirklich Angst, wenn jemand das glaubt, dass er der Beste ist; dann sagt er, ich bin politisch naiv, dann hab ich gesagt, keiner kann mir mehr sagen, was politisch naiv ist, was Sie jetzt sagen, extrem politisch naiv, dann sagte er, na gut, verschiedene Meinung, fertig.
Autor:
Gewissensbisse plagen den Doktoranden aus Deutschland. Kann er hier noch länger bleiben?
O-Ton 12 Dürr
Ich wollte dann abspringen, aber ich bin nicht abgesprungen und das war wirklich gut. Ich war vier Jahre mit ihm zusammen. Wir haben uns jeden Tag gestritten, ja, wir waren verschiedener Meinung, es war für mich wichtig, wie jemand denkt, dem ich konträr gegenüber stehe. Als Mensch mocht ich ihn, obwohl er ein Narzist war, ich konnte mich wunderbar mit ihm unterhalten, aber nur wenn ich auf seine Bilder eingegangen bin, er hat nie meine Bilder gekannt, und wir haben immer in Bildern gesprochen, die Physik war für uns Kunst, wenn man was nicht verstanden hat, dann muss man erst mal malen, muss man Gedichte schreiben, dann kommt man an die Sache ran, … da hab ich viel von ihm gelernt und ich verdanke ihm sehr viel. Aber er war mir kein Vorbild. Ich hab drunter gelitten, dass ein Mensch, der eigentlich gut ist, mit dem ich auch Klaviertrio gemacht hab, ich Cello, er hat Klavier gespielt und ein anderer Professor noch die Geige.
Musik Andante con moto, Schubert, Bearbeitung für Glasharfe
Autor: (über Musik)
In Kalifornien trifft Hans-Peter Dürr auch Hannah Arendt, die jüdische Politologin. Von Deutschland aus war sie erst nach Frankreich und dann in die USA emigriert; In Berkeley hält sie Vorlesungen über Totalitarismus. In dieser Zeit erscheint auch ihr fast 1000seitiges Werk „The Origins of Totalitarianism“ (in deutscher Übersetzung: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft). Sie soll bald eine nicht unumstrittene Stimme des jüdischen Widerstands und ab den sechziger Jahren weltbekannt werden.  1961 reist sie im Auftrag des Magazins „The New Yorker“ zu den Eichmann-Prozessen nach Israel.  Ihren Bericht in fünf Folgen nennt sie „ A Report on the Banality of Evil.“ Die Formulierung „Banalität des Bösen“ wird ein fester Begriff der politischen Philosophie und geht danach in den Sprachgebrauch über.
O-Ton 13 Hannah Arendt (TV-Talk Show) 1:00
Man denkt heute oft, dass der Schock der deutschen Juden 1933 sich damit erklärt, dass Hitler die Macht ergriff, was mich und Menschen meiner Generation betrifft, kann ich sagen, dass das ein kurioses Missverständnis ist. Es war natürlich politisch, nicht persönlich. Dass die Nazis unsere Feinde sind, mein Gott, wir brauchten doch bitteschön nicht Hitlers Machtergreifung, um das zu wissen, das war doch seit vier Jahren mindestens jedem Menschen, der nicht schwachsinnig war, völlig evident. Und dass ein großer Teil des Volkes dahinter stand, ja, das wußten wir doch auch, davon konnten wir doch nicht 33 schockartig überrascht sein.(39:43) Das Entscheidende ist der Tag, an dem wir von Ausschwitz erfuhren. Das war 43 und erst haben’s wir nicht geglaubt. … und das ist der eigentliche Schock gewesen.
Autor:
Hannah Arendt unterrichtet und schreibt in Englisch und freut sich, mit Dürr deutsch sprechen zu können. Dürr fühlt sich von Gefühlen überwältig, es ist das erste Mal, dass jemand Interesse an seiner Geschichte zeigt.
O-Ton 14 Dürr
Dann sagte sie diesen, für mich erlösenden Satz: Ihr müsst verstehen, dass wenn wir so ein Volk von außen ansehen, dass wir den Leuten dort eine viel größere Schuld aufbürden, als sie selbst hatten, ja, aber dass die Leute schuldiger sind, als sie selbst glauben (…) Sie hat die richtigen Fragen gestellt, da sagte sie mir: Dass ich eigentlich schuldiger bin, als ich mich selbst empfinde, weil ich sagte, ich fühle mich nicht schuldig, ich meine es auch nicht so, du warst noch zu jung, aber ich möchte es so ausdrücken, deine Haltung hinterher, das haben wir in Deutschland genannt die Ohne-mich-Haltung, wir jungen Leute nach dem Krieg, wenn jemand kommt und sagt, du musst solidarisch sein, du musst mithelfen, für was? Das haben wir… wir machen nur noch mit, wenn wir selbst den Überblick behalten. Und sie sagte dann, sie sieht , die Ohne-Mich-Haltung die  bringt dich eigentlich in einen Zustand, wo du schuldig wirst, ohne dass du es merkst, du musst dich einmischen, du musst es nicht ändern, aber wenn du jemand siehst, der etwas macht, was du nicht für richtig hältst, geh zu dem hin und frage ihn, kannst du mir erklären, warum du das machst, wenn du das gemacht hast, dann machst du was ganz wichtiges, weil es für den anderen womöglich das erste mal war, nachzudenken, was er jetzt macht … und dann sagte sie: du musst Grenzgänger werden, man muss sich einmischen überall, und die werden sagen, arrogant, Schuster bleib bei deinem Leisten und so fort. Aber du brauchst es für deine eigene Orientierung.
Musik: Teller am Klavier (Film von Los Alamos)
Autor:
Edward Teller am Flügel, schwer und heftig greifen die Hände in die Tasten – Szene in einem Filmporträt, produziert vom Atom-Labor Los Alamos.
Der Doktorand und sein Doktorvater streiten und musizieren und streiten. Teller spielt Klavier, Dürr streicht das Cello.
Doch neben der Klassik mit dem Professor gibt es noch eine andere Musik.
Musik: Elvis Presley „Rockabilly Rebel“ (Blende unter Text)
Draußen, außerhalb des akademischen Areals gibt es Rockabilly, Country, Rock’n’Roll, Elvis Presley und Johnny Cash erscheinen in den Charts. Und natürlich auch Folk Dance. Square Dance. Greek Dance.
Musik: Mikis Theodorakis & Melina Mercouri  “O Dikastis”
Autor: (über Musik)
Eines Tages tanzt eine zarte Westcoast-Fee mit dichtem, blondem Haar an ihm vorbei, beim nächsten Mal greift sie seine Hand – sie heißt Carol Sue Durham. Dürr and Durham. Da war Musik drin. „I am Sue!“ – „I am Peter“. Sue studiert Musik und ist gerade aus Paris zurück. Greek Folk Dance ist ihre Leidenschaft.
O-Ton 15: Sue 0:34
Ich hab Folklore getanzt in Kalifornien, weil es da grad aufkam, (…) In Berkeley, das war jedenfalls Begegnungen, wo ich ihm gesagt hab, ach, mach doch mit, und er sagte, er wär zu alt (kichert) für dieses Folklorezeug mit Hüpfen und Klatschen und ich sagte, es fühlt sich ganz anders an, wenn du drin bist, als wenn du von außen anschaust, und er erzählt, dass es stimmte,
Autor:
Sie treffen sich wieder, sie tanzen, sie heiraten, sie tanzen, sie bekommen vier Kinder. Und sie tanzen.
Sie tanzten ihr ganzes gemeinsames Leben; der Keller der Dürrs war immer auch ein Tanzkeller.
Musik: The one I love
O-Ton 16: Sue 0:50
Er tanzte dann immer mit, wenn wir Erwachsene zum Tanzen hatten, bis Februar hat er immer noch alles mitgetanzt. Manchmal war er ein bisschen schwach, aber wir haben nicht nur Folklore getanzt. Sagen wir Swing, er hat wahnsinnig gern auch so getanzt-.Ich hab das wahnsinnig gern mit ihm auch gemacht, weil er so inventiv war, wir haben immer gern miteinander getanzt. Und auch in Zeiten, wo’s nicht so gut ist, konnten wir immer tanzen.
Autor:
Die Dürrs in Deutschland. Den Übergang vom California Style zur Ordnung made in Germany sollte eine gemeinsame Weltreise abmildern. Mit einem Frachter fuhren sie 1957 von San Francisco westwärts nach Japan; über China, Thailand, Indien, Pakistan, Iran, Irak, Türkei ging es langsam nach Deutschland.
Dort ist Franz Josef Strauß erster Atomminister. Es ist, als habe Strauß Edward Teller studiert: Er wünscht sich die Bombe für Deutschland. 18 Naturwissenschaftler, angestachelt von dem Philosophen und Atomphysiker Carl-Friedrich von Weizsäcker, verfassen die Göttinger Erklärung; unter den Unterzeichnern: die vier Nobelpreisträger Otto Hahn, Max von der Laue, Max Born und Werner Heisenberg. Hans-Peter und seine Sue schauen sich erleichtert an: Ja, hier sind wir nicht allein! Hier kann es eine Zukunft geben.
Er wird Assistent von Werner Heissenberg am Max Planck-Institut für Physik, das 1958 von Göttingen nach München umzieht. Dort wachsen die vier Kinder Rosmarie, Mike , Carolyn und Pit auf.
Musik: Cap Scan A
Sprecherin:
GÖTTINGER ERKLÄRUNG VOM 12. APRIL 1957
Zitator:
Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichneten bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.
Autor:
Strauß tobt, tobt vergeblich – die deutsche Atombombe lässt sich abwenden. Nicht jedoch die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkraft, beschönigend Kernkraft genannt. Es kommen die 70er Jahre, die Jahre der Anti-Atom-Bewegung. Hans-Peter Dürr ist inzwischen einer der Direktoren des Max Planck-Instituts für Physik in München, auf dem Stuhl von Werner Heissenberg. Sue Dürr erinnert sich:
O-Ton 17 Sue 1:26
Reimar Lüst war Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und hat einen Brief verfasst, dass alle Direktoren der Max-Planck-Institute unterschreiben sollten, dass sie die Politik der Regierung unterstützen, die Kernkraft auszubauen, und Peter hat das gelesen und hat gesagt, das kann ich  nicht unterschreiben, ich schreib aber warum, …, Lüst hat gesagt, das müssen Sie doch als Heissenberg-Nachfolger, und Heissenberg war für die Kern-Energie, und Peter sagte, ich schreibs und dann hatte er sich wirklich Zeit genommen und einen langen Antwortartikel geschrieben, das hieß: Dafür oder dagegen? … und das hat er dem Dieter Lattmann , der damals im Bundestag war für die SPD, und ein Freund von uns ist, (und er hat es ihm gezeigt) und Dieter hat gesagt, das muss in die Presse, ich sorg dafür und er hat dafür gesorgt, es kam in der Frankfurter Rundschau… zwei ganze Seiten, und das war Verlust der Unschuld.
Sprecherin:
HANS-PETER DÜRR, FRANKFURTER RUNDSCHAU AM 27. SEPTEMBER 1977
Zitator:
„Wenn behauptet wird, eine moderne Wirtschaft braucht notwendigerweise – etwa um Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder weil der Mensch nicht bereit sei, einen Verzicht auf Lebensstandard hin leisten – ein jährliches Realwachstum von so und so viel Prozent, das wesentlich an einen höheren Energieverbrauch gekoppelt ist, und dass aus diesem Grund der Bau von Kernkraftwerken unabdingbar sei, dann werde ich mit aller Entschiedenheit dagegen Stellung beziehen. Denn ich sehe nicht ein, warum man immer nur bei der Lösung technisch-wissenschaftlicher Probleme so zuversichtlich der menschlichen Phantasie vertraut, bei wirtschaftlichen und soziologischen Problemen aber wie vor unabänderlichen Naturgesetzen resigniert. Die Welt hat sich entschieden gewandelt. Wir können deshalb nicht erwarten, mit den Wirtschaftstheorien und Ideologien des vorigen Jahrhunderts mit der doch heute völlig anders gelagerten Problematik fertig zu werden. Neue Begriffe müssen geprägt, neue Maßstäbe müssen gesetzt werden“
Autor:
Da stand es. Schwarz auf weiß. Es gab kein Zurück mehr. Der Ruf nach neuen Begriffen, nach neuem Denken. Der Grenzgänger war nach vorn getreten!
O-Ton 18 Sue 2:33
Energie war vor Frieden. … dann hat Carl-Friedrich von Weizsäcker, bei einer geselligen Veranlassung, hat er mir gesagt, warum regen Sie sich auf über die zivile Nutzung der Kernenergie, ich mein, im ganzen Land lagern die Atombomben, das wußte ich natürlich nicht, und so war es für mich auch erst mal die Energieproblematik besonders, und dann weiter zur Kriegs und Friedensproblematik, … wir lasen Bücher, unsere Frauengruppe, und dann haben wir gesagt: Peter, da musst du was schreiben, und er sagte: Wieso ich? Ich bin Wissenschaftler! Und es ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine ethische. Und wir waren unbarmherzig und haben gesagt: Ja, aber die Leute glauben den Wissenschaftlern und deswegen müssen sie sich damit befassen, zum Beispiel Du! Und er sagte: Ich muss erst mal die Frage von dem polnischen Dissident zu Ende bringen, dann schau ich s…und dann war er natürlich tief drin, gleich, und hat in der Uni diese Ringvorlesung … ins Leben gerufen, und das war alles auch nur mit Widerstände von dem Mainstream, inklusive Uni-Verwaltung, haben zu ihm gesagt, das dürfte er nicht, weil  die Uni ist eine akademische Institution und diese Fragen wären eher gesellschaftspolitisch. Und er sagte, wir haben aber nur Akademiker als Redner gedacht, und dann mussten die nachgeben, sagten aber: Das Wort Frieden darf nicht in dem Titel vorkommen, weil das schon kommunistisch besetzt ist, und letzten Endes hat er jahrelang  acht bis zehn Vorlesungen gehabt jedes Semester… er war hartnäckig, er konnte das
Musik:
Zitator:
Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuern Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.
Sprecherin:
Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“; geschrieben 1938/39 im Exil in Dänemark, nachdem die Zeitungen die Nachricht gebracht hatten, dass dem Physiker Otto Hahn und seinem Mitarbeiter Fritz Strassmann die Spaltung des Uran-Atoms gelungen war.
Musik:
Autor:
Der Grenzgänger Hans-Peter Dürr. Die einen bejubeln ihn, die anderen distanzieren sich. Der US-amerikanische Physik-Nobelpreisträger Murray Gel-Mann bezeichnet es als einen Fehler Heissenbergs, einen solchen Mann zu seinem Nachfolger gemacht zu haben. Hier zwei Stimmen aus dem wissenschaftlichen Freundeskreis: Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der Sohn des Urhebers des Göttinger Manifests, und nach ihm der Physiker Erhard Seiler, ein Kollege aus dem Max-Planck-Institut.
O-Ton 19 Ernst-Ulrich von Weizsäcker
Er war in der Max-Planck-Gesellschaft eine Art von Sonderling, er war Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik und hat dort auch hervorragende Arbeit gemacht, aber eben gleichzeitig hat er auf politischen Hochzeiten getanzt, insbesondere friedenspolitischen. .. Zweifellos waren diejenigen Wissenschaftler in der Max-Planck-Gesellschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft und so weiter, denen nur die wissenschaftliche Qualität am Herzen lag, überrascht und zum Teil auch empört darüber, dass jemand sein, durch die Wissenschaft verdientes Salär unter anderem dafür verwendet, dass er sich in politische Dinge einmischt, und dabei auch in Konflikt mit manchen anderen Naturwissenschaftlern kam.
O-Ton 20 Erhard Seiler
Er hat sich eigentlich nie anmerken lassen, dass ihn das beunruhigt. Die Max-Planck-Gesellschaft ist halt so eine strikt wissenschaftlich ausgerichtete Organisation, und die fand das nicht gut, dass ein Mann, der jetzt als Physiker hier als Direktor an diesem Institut tätig war, seine Hauptenergie auf andere Themen gelegt hat, obwohl die für das Überleben der Menschheit zweifellos wichtiger sind, also: Ökologie, Frieden, insbesondere Abrüstung, er fuhr ja dann auch nach Moskau, hat mit Gorbatschow referiert, er hatte immer das Bild in seinem Büro, wo er da mit Gorbatschow und vielen anderen am Tisch sitzt, das ist aus dem Jahr 89, die Mach-Planck-Gesellschaft, die haben das als exmatrikuliere  Aktivitäten betrachtet und fanden es letztlich nicht gut. Aber sie haben auch nichts gemacht, außer ein bisschen gemosert –
Und da muss ich sagen: Leider ist halt nicht bei allen Naturwissenschaftlern das Bewusstsein so verbreitet, dass man mit ihren Erkenntnissen schlimme Dinge machen kann. Das Stück „Leben des Galilei“ von Brecht bringt das ja ziemlich auf den Punkt am Schluss, das hat Brecht ja auch nach der Erfahrung vom Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki umgeschrieben …
Zitator:
Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden! Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.
Sprecherin:
Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“
Autor:
Die 80er Jahre. Ronald Reagan ist 40. Präsident der Vereinigten Staaten. Seine Außenpolitik basiert auf einem Gleichgewicht des Schreckens. Er plädiert für ein Laser-Schutzschild im Weltraum, um russische Interkontinentalraketen abzufangen.  Das Ganze nennt sich „ Strategic Defense Initiative“, kurz SDI. Die Medien sprechen von „Star Wars“. Der Erfinder: Edward Teller. Vehemente Stimme dagegen: Hans-Peter Dürr. Wieder kreuzen sich ihre Lebenswege. Im September 1985 kommt Teller nach Deutschland, in einem Fernsehstudio des NDR treffen die Kontrahenten aufeinander.
O-Ton 21 NDR „Montagsthema“ (30:00 – 32:16)
Teller: Wenn man eine Verteidigung entwickelt, wenn die Russen es tun, wie sie es getan haben, und wenn wir keine entwickeln, und die russische Verteidigung gar nicht abschätzen können, dann wird es unmöglich sein, zu behaupten, dass sie so oder so ein Risiko eingehen. Durch eine Verteidigung könnte für einen Angreifer das Risiko zwar nicht verschwinden, es ist immer noch schwer, aber sie können nach den russischen Begriffen, nicht nach unseren, aber nach ihren Begriffen könnten sie mit Sicherheit siegen, indem sie uns so viel Schaden zufügen, dass wir nicht mehr existieren, aber Russland trotz Millionen Toten überlebt. Und das ist die Gefahr.
Dürr: Aber diese Argumentation finde ich absolut absurd. Die zeugt davon, dass du den Eindruck hast, die Russen würden ihre Menschenleben lieber opfern als die Amerikaner. Die Russen haben diesen Krieg eben eher erlebt als die Amerikaner, das ist meine Erfahrung, die wissen, was Krieg bedeutet, und ich finde das… ich kann das überhaupt nicht fassen, dass du sagst, dass die russische Regierung frei weg die Entscheidung fällen würde, hier große Teile ihres Volkes zu opfern, das werden sie nicht tun, das ist nur in deiner Vorstellung so, die wollen..
Teller: … darf ich eine historische..
Dürr: Augenblick, jetzt möchte ich zu Ende reden, die wollen ihre eigene Sicherheit auch, und ich glaube, du musst dich auch mal in ihre eigne Vorstellung versetzen, wie das eigentlich von ihrer Seite aussieht, und nicht nur immer die Vorstellung zu haben, dass die alles bereit sind zu opfern, um hier die Weltherrschaft anzutreten. Ich glaube, das ist einfach sehr extrem gesehen, und dem würd ich überhaupt nicht folgen. Auf Grund ihrer historischen Erfahrung…
Teller: ….darf ich jetzt etwas einwenden..
Dürr: Ich bin noch nicht fertig.

Musik Mikis Theodorakis Canto General “Liberatores”

Autor: über Musik)
Hans- Peter Dürr ist noch lang nicht fertig. Er spricht laut und auf vielen Podien und Kanälen gegen SDI. Greenpeace Deutschland holt ihn in den Vorstand. Aus Tübingen meldet sich der linke Politiker, Friedensaktivist und Musiker Henning Zierock, ein Freund des griechischen Komponisten und Freiheitskämpfers Mikis Theodorakis; er will eine internationale Gesellschaft für eine Kultur des Friedens gründen.

Griechische Klänge spielen zweifellos eine prägende Rolle, seit Berkeley sind sie Hintergrundmusik im Leben des Physikers. Kein Monat ohne Tänze im Keller der Dürrs, gleich neben dem Max-Planck-Institut in München-Freimann.

Musik: Mikis Theodorakis, Canto General, “Los Libertadores”

O-Ton 22 Henning Zierock 0:54
Mikis Theodorakis und Hans-Peter Dürr hab ich zusammen gebracht nach einem Konzert ’86 in München, wir saßen sogar im Hofbräuhaus noch, und da haben die ein Bier getrunken, und da war schon die Verabredung für Tübingen 1988 diesen Kongress „Kultur des Friedens“ durchzuführen. Das war ein sehr spannendes Gespräch, weil der Künstler und der Naturwissenschaftler sich getroffen haben, aber beide hatten voneinander viel Ahnung, auch Theodorakis beschäftigt sich mit Fragen von Energie, (allen Fragen, die das Leben betrifft), und Hans-Peter Dürr (auch) er hat ja eine musikalische Ader, (er hatte auch eine griechische Ader) wir hatten ja viele Veranstaltungen gemacht, wo er die Musik mitgesungen hat, er hat sie auch mitgetanzt, da haben sich zwei getroffen, Koriphäen möchte ich mal sagen, auf ihrem Gebiet, die die gleiche Wellenlänge hatten, und vor allem in dieser (gemeinsamen) Haltung, eine Kultur des Friedens zu entwickeln.

Musik: Mikis Theodorakis, Canto General “Los Libertadores”

Autor
Er erkennt dabei die Notwendigkeit, bei globalen Fragen einen kontinuierlichen Dialog mit Gleichgesinnten zu führen. Er kennt ja Gleichgesinnte in allen Teilen der Welt persönlich. Er schreibt sie an, ruft sie an. Er will ein Dach gründen. Wie soll das Dach heißen? Global Challenges Network! Fraucke Liesenborghs, heute die Geschäftsführerin von Global Challenges Network, erinnert sich.

O-Ton 23 Fraucke Liesenborghs
Es ging um den Namen, die Entscheidung, ist Global Challenges Network das richtige Wort für die Idee? Ich habs überhaupt nicht verstanden, und das ging auch anderen so. Damals war (das Wort) Network überhaupt kein Wort, das irgendjemand kannte, und Challenges wußte man irgendwie auch nicht, es gab ganz großen Widerstand … von uns Deutschen, sag ich mal, man hatte fast das Gefühl, je mehr man sagte, ach, das ist schwierig, das versteht keiner, Sue und Hans-Peter wurden sich immer einiger, dass das der richtige Name ist und ist es ja auch geworden und es ist ein weiteres Beispiel für die große Sicht von Hans-Peter, und da muss man die Sue auch dazu nehmen: Was wichtig ist in der Welt: es sind die Challenges und das Netzwerken und die Kooperation.

Autor:
Im Januar 1987, noch im Nachklang des Schreckens der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl, wird das Global Challenges Network in Starnberg gegründet, im gleichen Jahr Hans-Peter Dürr zum Gesamtdirektor des Max-Planck- Instituts für Physik und Astrophysik ernannt. Das Jahr hält noch mehr bereit: Im Herbst erhält er für seine europaweite Aufklärungsarbeit gegen Reagans Star-Wars-Projekt SDI den Right Livelihood Award, inzwischen bekannt als alternativer Nobelpreis.

Das Preisgeld kommt wie gerufen. Damit kann Global Challenges Network loslegen. Erstes Projekt ist die Ostsee – von vielen Anreinern vergiftet und radioaktiv verseucht. Ruhe kommt keine mehr auf. Im Jahr drauf gilt es, mit Henning Zierock endlich die „Kultur des Friedens“ aus der Taufe zu heben. 1500 Menschen kommen nach Tübingen, die Schriftsteller Christa Wolf und Tschingis Aitmatov sind dabei, die Musiker Mikis Theodorakis und Konstantin Wecker, die Friedensstreiter Karola Bloch, Walter Jens, Horst-Eberhard Richter. Hans-Peter Dürr kennt sie alle, alle laden ihn wieder ein. Er wird zum reisenden Netzwerker. Doch erst nach der Emeritierung 1997 kann er die Reisetasche gepackt lassen. Spricht man ihn darauf an, verweist er auf Hannah Arendt: Er folge nur ihrem Rat. Ein Grenzgänger muss in Gang bleiben.

Ein Nachtrag in der Chronik ist noch nötig: 1995 erhält die Pugwash Konferenz den Friedensnobelpreis. Gegründet hat die ständige Friedenskonferenz der ehemalige Bombenbauer Josef Rotblat; benannt ist sie nach dem Ort des ersten Treffens, dem Fischerdorf Pugwash in der kanadischen Provinz Noca Scotia. Hans-Peter Dürr, wie soll es anders sein, ist aktives Pugwash-Mitglied.

2005 wollen 160 Wissenschaftler mit einem Potsdamer Manifest an das Russel-Einstein-Manifest von 1955 anknüpfen. Der Physiker Albert Einstein und der Philosoph Bertram Russel warnten seiner Zeit vor den Folgen des Einsatzes von Atomwaffen. Das Potsdamer Manifest gibt sich, 50 Jahre später, den Titel „We have to learn to think in a new way“. Wir müssen lernen, neu zu denken. Die Erklärung verfasst Hans-Peter Dürr zusammen mit Daniel Dahm und Rudolf zur Lippe.

Sprecherin:
POTSDAMER  MANIFEST 2005

Zitator:
Die Quantenphysik – und nicht nur sie – fordert uns auf, unser Denken in starren Strukturen grundsätzlich so zu emanzipieren, dass flexible Beziehungen an deren Stelle treten können.

Aus neuer Sicht stellt sich die Welt, die Wirklichkeit, nicht mehr als ein theoretisch geschlossenes System heraus. Dies führt zu einer eingeprägten Unschärfe, die aus der fundamentalen Unauftrennbarkeit resultiert und in einer prinzipiellen Beschränkung des ‚Wissbaren’ zum Ausdruck kommt. Wir sind dadurch gezwungen über die Wirklichkeit, streng genommen, nur in Gleichnissen sprechen zu können. Es gibt prinzipiell nicht mehr auf alle Fragen, die wir aus unserer menschlichen Sicht glauben stellen zu können, Antworten, da diese ins Leere stoßen. Der einzelne Mensch, wie alles Andere auch, bleibt prinzipiell nie isoliert. Er wird im allverbundenen Gemeinsamen in seiner nur scheinbaren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam. In all unserem Handeln wirkt die Vielzahl von Einflüssen und Impulsen anderer Menschen und unserer Geobiosphäre mit, und nicht nur über die durch unsere Sinne vermittelte Brücke materiell-energetischer Wechselwirkungen, sondern auch direkt über die allen gemeinsame immaterielle potenzielle Verbundenheit. Unser Handeln beeinflusst gleichermaßen auch wieder die gesamte gesellschaftliche Verfasstheit und verändert die sich ständig dynamisch wandelnde Potenzialität der lebendigen Wirklichkeit. So ist die Einzigartigkeit des Einzelnen tragender Bestandteil unseres gemeinschaftlichen kulturellen Evolutionsprozesses.

Autor:
Das neue Denken füllt den Professor Emeritus voll aus, er unterbricht seine Weltreisen nur, um beim Tanzen im Keller nicht zu fehlen. Das sind die festen Termine im Jahr, an denen Sue weiß, dass Hans-Peter sie im Arm halten wird. Sie ist in seiner Abwesenheit zu einer festen Säule der wirtschaftskritischen Initiative attac geworden.

Zu seinem Reisegepäck gehört ein selbst entwickeltes Pendel, mit dem er demonstriert, dass sich bestimmte Bewegungen nicht mehr voraussagen lassen, sobald das Pendel aus flexiblen Einzelteilen besteht, also einem Pendel an einem Pendel an einem Pendel. Er nennt es Tripelpendel. Plötzliche, unerwartete, chaotische Tänze entstehen. Übersetzt in unsere Wirklichkeit: Auch wenn die Lage gerade dunkel ist, die Zukunft ist prinzipiell offen und gestaltungsfähig.

Der Warner gegen alten Wahnsinn und Vordenker für neue Wege sieht sich am Ende seines Lebens in allen Befürchtungen bestätigt: Die Nukleartechnik erfährt in Fukushima ihren Todesstoß, wird jedoch von alten Denkern weiter trotzig aufrecht erhalten, nicht anders als die Weltwirtschaft mit ihrer morbiden Wachstumsideologie. Doch er bleibt optimistisch, sieht das Zusammenwirken der Kräfte im Netz der neuen Denker. Ein Bild, das ihm die Quantenphysik eröffnete.

Musik: Schubert, 2. Satz aus: Klaviertrio Es-Dur, D 929, op. 100, A:  Beaux Arts Trio

O-Ton 24 HP Dürr
Wie Heissenberg immer sagte, warum soll sich die Wirklichkeit drum kümmern, dass sie so erscheint, dass wir es mit unserem Gehirn erfassen können – das ist viel weiter, dann hat man gesagt, ja warum? Er hat ja ganz Recht, er sagt, ja unsere Erfahrung ist doch nicht gemacht, damit wir das Universum verstehen, oder die Atome verstehen, sondern einfach zum Überleben, nicht, den Apfel am Baum zu finden, mit dem ich mich ernähre. Also ist unsere Sprache eine Apfelpflücksprache, aber die Wirklichkeit spricht doch nicht Apfelpflücken.

In dem Zerlegen haben wir alles weggeworfen, was eigentlich wichtig ist, es ist nur das, was dazwischen ist, und das ist eigentlich der Grund, man weiß, Materie gibt es nicht, sondern nur dazwischen, was heißt das? Ich sage : gut, nimm mal einen Wald, der Wald ist die Summe der Bäume, jetzt nimm alle Bäume raus, in Gedanken nur, und schau dir an, was übrig bleibt, sagen alle: Nix, hast du nicht gesagt, der Wald ist mehr als die Summe der Bäume, na also, ich möchte jetzt wissen, was bleibt übrig, Ja, das was dazwischen ist, das kommt aus den Bäumen raus, ein Äther oder irgend sowas, und wenn die Bäume weg sind, dann ist auch das dazwischen weg. Das Dazwischen ist das wichtigere, das werfen wir weg, und dann haben wir es nur mehr mit den Bäumen zu tun, die kein dazwischen haben, erklären das und wissen dann , was ein Wald ist.

Oder schau dir das Gedicht an und nimm ein Vergrößerungsglas und schau dir die Buchstaben an und geh Buchstabe für Buchstabe durch und sag: Warum haben die den Goethe so wichtig gefunden, ich hab eigentlich nur Kohlestaub auf einem Papier gesehen, ich hab nicht einmal die Worte gesehen, die Zusammensetzung macht die Bedeutung, der Satz, die Strophen, und das Gedicht, wenn man mal in diese Welt eingetaucht ist, dann ist das passiert: ich möchte verstehen, was der Heissenberg sagt. Aber man kann‘s nicht verstehen, dann hab ich jetzt verstanden, was er meinte. Wir können ein Gedicht verstehen, ohne dass wir es erklären können.
Es ist die Gestalt, die der Träger ist, und nicht der Baustein. Es ist das Zusammenspiel!
Musik: Anfang Klavier Wecker (unter Text ausblenden bevor Gesang kommt)

Autor:
Februar 2015. Ein Studio in München-Unterföhring. Konstantin Wecker nimmt ein neues Album auf. Eines seiner Lieder hat er Hans-Peter Dürr gewidmet, den er Ende der achtziger Jahre bei einem Kongress der IPPNW, der Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, kennen gelernt hatte. Auf der Heimfahrt von Berlin nach München hatten sie ihre gemeinsame pazifistische Weltsicht entdeckt – und waren Freunde geworden.

O-Ton 25: Konstantin Wecker
Es hat in mir zum Klingen gebracht, was ich immer schon geahnt hab, aber auf diese schöne Weise noch nicht ausgedrückt wusste, dass die Poesie vermutlich mehr von der Wirklichkeit erahnt, als noch so kluge Reden, als noch so rationales Denken, dass die Poesie näher dran ist, was wirklich ist. Viele Naturwissenschaftler sind Künstler. Ich werde nie vergessen, wie mir Hans-Peter immer erzählt hat von Heissenberg und seinem Klavierspiel. Wie Heissenberg ihn dann eines Nachmittags anrief, das ist glaub ich auch öfters passiert, und dann mit ihm nur über Kunst und Musik sprechen wollte. Und nach einem Nachmittag hat er dann gesagt: So. und jetzt komm ich in meinen mathematischen Problemen wieder weiter…

Autor:
Wecker nannte ihn seinen weisen, väterlichen Ratgeber. Dem Lied gab er den Titel „Gefrorenes Licht“.

O-Ton 26: Wecker
Ich hab einen Ratgeber verloren, weil ich nie jemand kennen gelernt hab in meinem Leben, der mir Physik so liebevoll versucht hat, näher zu bringen wie er. Zum Beispiel den Ratschlag, dass das, was wir sehen, und das, was wir als Materie bezeichnen, nichts ist als gefrorenes Licht , das ist auch der Grund, warum ich ihm dieses Lied gewidmet hab, er hat‘s noch gehört, gottseidank,

Musik: Konstantin Wecker „Gefrorenes Licht“.