Floyd Westerman

Floyd Westerman

Die Stimme der Roten Krähe

Zum Tode des indianischen Sängers und Schauspielers Floyd Red Crow Westerman.

Von Claus Biegert

Diese Stimme ließ alle aufhorchen: etwas Johnny Cash und viel, viel Prärie. Zuerst sang er und wurde als Krieger mit Gitarre ein Wortführer der indianischen Welt, dann betrat er die Leinwand und war fortan als Hollywood-Indianer ein Idol der weißen Welt.

Floyd Westerman wurde am 17. August 1936 auf der Sisseton-Wahpeton Reservation im US-Bundesstaat South Dakota geboren und erlebte seine Kindheit auf die, für die Stämme im Mittelwesten damals typische Weise – er wurde auf Geheiß des B.I.A., der Indianerbehörde in Washington, von seinen Eltern getrennt und nach Flandreau in eine Boarding School verfrachtet. Dort versuchte man ihm Sprache und Werte der Sioux auszutreiben; später ließ Floyd keine Gelegenheit verstreichen, dem Bureau of Indian Affairs seine Kritik singend entgegen zu schleudern.

Auf der Flandreau Indian School schloß er Freundschaft mit einem Jungen vom Stamm der Chippewa aus dem Reservat Leech Lake in Minnesota. Der Junge hieß Dennis Banks und sollte 1968 zu den Gründern der Widerstandsbewegung American Indian Movement (AIM) gehören. 1969 veröffentlichte Floyd, der inzwischen das College absolviert und sich als Countrysänger in Folkclubs einen Namen gemacht hatte, sein Album „Custer Died for your Sins“ (Custer starb für Eure Sünden). Die Platte schlug ein, wie zuvor das Buch mit dem gleichen Titel, mit dem sein Freund, der Schriftsteller und Historiker Vine Delorias Jr. aus dem Nachbarreservat Standing Rock, dem indianischen Widerstand literarischen Beistand leistete. Floyd begleitete von nun an die Aktionen von AIM mit seinen Songs. Und da der Widerstand einher ging mit Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, ersetzten die traditionellen Stammesnamen bald die kolonialen Benennungen – Dakota und Anishinabe traten an die Stelle von Sioux und Chippewa. Floyd holte seinen indianischen Namen Kanghi Duta (Rote Krähe) aus der Versenkung und war fortan Floyd Red Crow Westerman. Und seine Musik wies zunehmend indianische Klangelemente auf.

In den Achtziger Jahren kam ein Anruf von Kevin Costner. Man suchte einen Darsteller für die Rolle des Häuptlings Ten Bears. Red Crow sprach vor – und wurde Ten Bears. „Dances with Wolves“ (Der mit dem Wolf tanzt) war der Beginn seiner Schauspielkarriere. Man sah ihn künftig in TV-Serien und Kinofilmen, und illustre Personen suchten seine Nähe: Jackson Brown, David Amram, Johnny Depp, Marlon Brando. Mit Sting tourte er 1989 um die Welt, um Öffentlichkeit für den Kampf der Kayapo zu schaffen, deren Regenwald-Heimat von dem Wasserkraft-Projekt Altamira bedroht war.

Das Gleichgewicht zwischen Popularität und Politik bestimmte ständig sein Leben. Wenn er auf Grund seiner Medienpräsenz interviewt wurde, betonte er immer wieder: „Der, den alle kennen, der bin ich nicht.“ Er sah sich als Aktivist, und die Achtung der Stammesältesten war ihm wichtiger als die Meinung der Studios. Hollywood war nur ein Job. Mitunter sah man ihn auch in Genf, wo in den Achtziger Jahren eine Arbeitsgruppe der UNO ihre Arbeit aufgenommen hatte. Als im September dieses Jahres nach 25 Jahren zäher Arbeit die „Deklaration der Rechte indigener Völker“ verabschiedet wurde, war er glücklich. Zählte er doch zu den Hunderten, die mitgearbeitet hatten.

Vor drei Jahren überstand er eine Lungentransplantation. Danach holte er tief Luft und nahm noch ein Album auf –
„A Tribut to Johnny Cash.“ Floyd Westerman starb am 13. Dezember in Los Angeles.

Walk in Beauty, Red Crow!

Süddeutsche Zeitung, 2007

Floyd Westerman

Geronimos Erben

Der Schädel des Apachen

Geronimos Erben klagen gegen die Yale University:
Sie fordern die gestohlenen Überreste aus dem Grab ihres Stammeshelden zurückt

Von Claus Biegert

Noch sitzt Ramsey Clark im Ohrensessel, ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien; neben ihm ragen Büchersäulen bis zu den Armstützen. Durchs offene Fenster dringen die Geräusche New Yorks, das Zirpen der Zikaden vermischt sich mit Polizeisirenen, eine Brise trägt den Duft von geröstetem Kaffee ins Wohnzimmer des Apartments in Greenwich Village. Ein solches Bild der Muße ist von kurzer Dauer. Dieser Mann, 82 Jahre ist er inzwischen alt, war einmal Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika. Bald wird er sich wieder vom Sessel erheben, denn von Ruhestand ist nicht die Rede. Seit seinem Abschied von Washington 1969 ist er als Menschenrechtler unterwegs, und für Menschenrechtler gibt es keine Rast. Schon gar nicht, wenn einer wie er, die US-Regierung ins Visier nimmt. Trotzdem wurde er 2008 mit dem Human Rights Award der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Im Internet hagelte es dazu Angriffe, er wurde verhöhnt, senil sei er, geistig verwirrt, eigentlich selbst ein Staatsfeind.

1992 gründete er im Vorfeld des damaligen Golfkrieges das „International Action Center“

Clark zitiert aus dem Buch vor ihm, es ist die Geschichte von Geronimo, jenem Apachenkrieger, der die US-Armee in einem zähen Guerillakrieg aufrieb. Der Bücherstapel rechts neben ihm besteht aus Literatur zur Geschichte der Apachen sowie der Indianerkriege und Umsiedelungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Er hat Werk um Werk durchforstet, um sich zu wappnen für seinen neuen Fall. Es geht um Grabschändung, um Geheimorden und um Großvater Bush. Die Fälle, die der umstrittene Jurist aufgreift, sind die Fälle, die andere nicht anrühren, um ihren Ruf nicht zu beschädigen. Clark vertrat Kubas Staatsoberhaupt Fidel Castro, den indianischen Gefangenen Leonard Peltier, den Kurdenführer Abdullah Özalan, aber auch Diktatoren wie Charles Taylor von Liberia, Serbenführer Slobodan Milosociv und Iraks Präsident Saddam Hussein.

Auf die Verkörperungen des Bösen angesprochen, sagt er schlicht: „Einen Großteil meines Lebens habe ich damit verbracht, gehasste und gefürchtete Personen zu verteidigen.“ Und er erklärt warum, die kleinen Augen funkeln dabei lebhaft in seinem hageren Gesicht: „Es ist von grundlegender Bedeutung für jeden Menschen, der krimineller Vergehen angeklagt ist, zu wissen, dass er sich auf eine faire Gerichtsverhandlung verlassen kann. Das gehört zur Integrität und Redlichkeit eines gesellschaftlichen Systems, das sich Rechtsstaat nennt. Wie übel auch die Vergehen eines Täters sein mögen, wir müssen dafür sorgen, dass auch auf jene ein fairer Prozess wartet, die wir am meisten verabscheuen und fürchten.“

Geronimo, den Apachen, muss heute niemand mehr fürchten; zu Lebzeiten verbreitet der Indianer jedoch Angst und Schrecken. „Er galt als Terrorist“, sagt Ramsey Clark. Als Anwalt interessiert ihn die Analyse der Entwicklung einer gefürchteten Figur – und das Problem der Dämonisierung: „Sobald man Menschen zu Dämonen erklärt, kann niemand mehr ein gutes Wort über sie sagen oder ihre Menschlichkeit sehen.“ Er spricht leise, der Akzent des Texaners wirkt exotisch in New York.

Geronimo, der eigentlich Goyathlay (der Gähnende) hieß, gehörte zum Stamm der Bedonkohe, einem Zweig der Apachen. Im Sommer 1850, Goyathlay war gerade 21 Jahre alt, schlugen die Bedonkohe, angeführt von ihrem Häuptling Mangas Coloradas, ihr Lager in den Casas Grandes in der mexikanischen Provinz Chihuahua auf. Um Handel zu treiben ritten die Männer in die nahe Siedlung Janos, ihre Vorräte und Waffen ließen sie dabei unter Obhut ihrer Familien und einiger Krieger zurück. Eines Nachmittags kamen ihnen auf dem Heimweg ein paar abgehetzte Frauen mit ihren Kindern entgegen, die vor Entsetzen kaum sprechen konnten: Ein Trupp mexikanischer Soldaten hatte das Lager der Bedonkohe überfallen und fast alle getötet. Mangas Coloradas und seine Männer versteckten sich, bis sie in der Dunkelheit den Ort des Massakers aufsuchten. Goyathlay fand unter den Toten seine Mutter, seine Frau Alope und seine drei kleinen Kinder. In seiner Autobiographie, die er kurz vor seinem Tode diktierte, sagt er dazu:“Ich betete nicht … ich sah keinen Sinn mehr im Leben … ich schwor Rache.“

Er war jetzt Geronimo auf dem Kriegspfad. Er war Jäger und Gejagter. Er kämpfte gegen den Landraub durch die Goldsucher, und mit jedem Angriff des Militärs wuchs sein Hass. 1885 verlor er seine zweite Familie, allein ein Sohn überlebte. Was folgte, gilt heute als Vorzeigekapitel in der Geschichte des Guerillakriegs: Mit nur 35 kampffähigen Kriegern, acht Jugendlichen und 101 Frauen mit Kleinkindern, ohne jegliche Versorgungsbasis, hielt er 5000 US-Soldaten samt ihrer 500 indianischen Scouts in Schach, das war ein Viertel der damaligen US-Armee, dazu kamen noch rund 3000 Soldaten auf mexikanischer Seite. Er tauchte auf wie ein Geist und war im nächsten Moment wieder mit der Landschaft verschmolzen, meldeten damals die Gazetten. Nach achtzehn Monaten ergab er sich. Den Rest seines Lebens verbrachte Geronimo als Kriegsgefangener; 1909 starb er in Fort Sill im Bundesstaat Oklahoma an Lungenentzündung. „Er gab dem Sprichwort Recht, nachdem nur ein toter Indianer ein guter Indianer ist“, kommentierte die New York Times seinen Tod. Am Ende seines Lebens trug er Anzug und Zylinder, steuerte für Fotografen einen Cadillac, bekannte sich zu Jesus Christus und marschierte in Präsident Teddy Roosevelts Parade. Der Wilde war gezähmt, sein Widerstand gebrochen.

Jetzt lebt der Widerstand wieder auf. Geronimos Erben, die von Ex-Minister Ramsey Clark vertreten werden, wollen die Gebeine ihres Helden im Quellgebiet des Gila River begraben, ein US-Gesetz hilft ihnen dabei: Der Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA) von 1990 soll die sterblichen Relikte von Ureinwohnern, wie sie bis heute vor allem in den Magazinen von naturkundlichen Museen lagern, wieder in den Schoss ihrer Stämme zurück bringen. Im Fall des Apachenkriegers aber gibt es ein Problem: Geronimos Schädel ist nicht mehr im Grab. Wie aus der Anklageschrift 1:09-cv-00303 hervorgeht, liegt der Totenkopf auf dem Altar der Geheimgesellschaft „Skulls and Bones“(Schädel und Knochen) in einem fensterlosen, von Gerüchten umrankten Bau, genannt „The Tomb“(Die Grabkammer) auf dem Campus der Yale University in New Haven im Bundesstaat Connecticut.

Wie kommt der Schädel des Apachen dorthin? Wenn man den eigenen Zeugnissen von „Skulls and Bones“ glauben darf, dann weilten 1918 vier Studenten der Elite-Universität Yale zu einem Artillerie-Training in Fort Sill in Oklahoma. Vor ihrer Rückkehr an die Ostküste plünderten die vier ein Grab, zu dem sie, wie in den Annalen vermerkt ist, eine Eisentür aufbrechen mussten. Daraus brachten sie einen Schädel, zwei Oberschenkelknochen und ein Sattelhorn mit für ihren Orden. Eine Festschrift von 1933, zum 100. Geburtstag der Geheimverbindung, brüstet sich mit der Tat und ordnet Knochen und Grabbeigaben Geronimo zu. Was heute Abscheu erregen würde, war damals ein Kavaliersdelikt, unter Archäologen und Anthropologen gar Gang und Gebe. Als Mangas Coloradas, der Häuptling der Bedonkohe, 1863 in Gefangenschaft gefoltert und anschließend von Soldaten erschossen wurde, trennte man noch am gleichen Tag den Kopf vom Rumpf und kochte ihn. Den gesäuberten Schädel ließ der Befehl habende Offizier umgehend zu einem Anthropologen nach Boston schicken, der nach dem Vermessen erstaunt feststellte, dass das Hirnvolumen des Indianers das des Lexikonautors Daniel Webster überragte. Der große Schädel des Mangas Coloradas gilt heute als verschollen, das letzte Mal wurde er im Umfeld des staatlichen Museums Smithonian Institution gesehen, dort wird der Besitz aber abgestritten. Der Fall hat es zu keiner großen Publicity gebracht, er erscheint in der Literatur lediglich als Anekdote der Pionierzeit.

Die Kultgestalt ist Geronimo. Seine Aura wird durch die vier Grabräuber aus Yale noch mysteriöser; vor allem durch einen: Prescott Bush, Vater des CIA-Direktors und späteren Präsidenten George Bush, und Großvater des letzten Präsidenten George W. Bush. Eine gewisse Genugtuung ist nicht zu überhören, wenn Ramsey Clark die drei Generationen „Bonesmen“ in der Familie Bush aufzählt. Wahrscheinlich wäre die Tat ohne Aufsehen geblieben, hätte nicht in den 80er Jahren der Stammesvorsitzende der San Carlos Apachen in Arizona, Ned Anderson, sich um die Rückführung der sterblichen Reste Geronimos aus Oklahoma in die Heimat der Bedonkohe bemüht. Kaum ging der Plan durch die örtliche Presse, meldete sich bei Anderson per Telefon ein anonymer Informant.

Der mysteriöse Anrufer dirigiert ihn zu einem Postamt in der Stadt Tempe, in der ein Kuvert verborgen sei. Anderson findet tatsächlich das Kuvert. Inhalt: ein Foto aus dem Inneren des „Tomb“ mit einem Schädel, Beinknochen und Zaumzeug eines Pferdes. Der Anrufer warnt Anderson, die Angelegenheit auf die leichte Schulter zu nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Anderson noch nie von „Skulls and Bones“ gehört. Als nächstes folgt eine Einladung nach New York. Ob der Informant damit zu tun hat, ist unklar. 1986 fliegt Anderson an die Ostküste. In einem Hochhaus, so erzählt er, sei er von zwei Mitgliedern der „Skulls and Bones“ empfangen worden: Jonathan Bush, Bruder des damaligen Präsidenten und Endicott Peabody Davidson, dem Anwalt des Geheimordens. Auf dem Konferenztisch ein bauchiges Glas mit Knochen. Dies seien die umstrittenen Objekte, sagt man ihm, und schiebt ihm einen Vertrag zu. Er sollte, erinnert sich Anderson, unterschreiben, dass es sich um die Knochen eines 10jährigen Jungen handelte, die der Orden an ihn zurück gebe. Anderson unterschreibt nicht. Man trennt sich ohne Einigung.

„Zu dieser Zeit, klang alles noch sehr phantastisch“, sagt Ramsey Clark. Was die Erben Geronimos dann auf den Plan rief und zu Clark Kontakt aufnehmen ließ, war eine Begebenheit im Herbst 2005: Der Sachbuchautor und Journalist Marc Wortman stößt bei Recherchen in der Bibliothek der Yale University auf einen Brief, geschrieben von Bonesman Winter Mead am 7. Juni 1918 an Bonesman Frederick Trubee Davidson. Darin finden sich die Zeilen: „Der Schädel von Geronimo dem Schrecklichen, exhumiert aus dem Grab in Fort Sill … ist jetzt sicher verwahrt im Inneren des T., zusammen mit seinen Oberschenkelknochen, Zaumzeug und Sattelhorn.“ Er war, so wird Wortman in der Presse zitiert, „wie von einem Stromstoß getroffen.“ Vor ihm lag der Beweis: „ Sie hatten jemanden ausgegraben, den sie für Geronimo hielten.“ Der Adressat des entdeckten Briefes entpuppte sich als Vater jenes „Skulls and Bones“-Anwalts, der 1986 in New York den Stammesvorsitzenden Ned Anderson mit einer Handvoll Kinderknochen zufrieden stellen wollte.

Wortmans Fund war das fehlende Puzzle. Kaum hatte Harlyn Geronimo zusammen mit 18 Verwandten und Mitstreitern Ramsey Clark für den Fall gewonnen, meldeten sich Zweifler und Gegner; lediglich die Universität Yale und ihre Knochenmänner hüllen sich in Schweigen. Wer vor allem die Identität Geronimos anzweifelt, ist David Miller, eremitierter Historiker der Cameron University in Oklahoma, unweit Fort Sill. Geronimos Grab, so Miller, sei auf dem alten Soldatenfriedhof gewesen, nur mit einem Holzkreuz versehen. Als Grab mit Eisentür identifizierte Miller das Grab des Kiowa-Häuptlings Kicking Bird.

Ungeachtet der Diskussion über die Echtheit der sterblichen Reste ist inzwischen zusätzlich ein Familienstreit entbrannt. Während Harlyn und seine Mitkläger ihre Blutverwandtschaft auf Lenna, eine Tochter Geronimos aus einer späteren Verbindung zurückführen, beruft sich der neue Kläger Lariat Geronimo auf die Linie von Geronimos Sohn Robert. Lariat stellt sich hinter die Apachen von Fort Sill und will Schädel und Gebeine aus der Gruft der „Skulls and Bones“ wieder nach Oklahoma bringen lassen. Dorthin, wo die Touristen das Grab des legendären Apachen suchen.

„Como siempre – das alte Lied“, meint Ramsey Clark traurig: „Indianer gegen Indianer und die US-Armee.“ Ihm geht es bei diesem Fall vor allem um die Achtung, die die Vereinigten Staaten gegenüber ihren indigenen Bewohnern fehlen lassen. Sollte Geronimo je in seiner Heimat im Quellgebiet des Gila River seine endgültige Ruhe finden, und sollte je der Plan in Erfüllung gehen, aus der Landschaft den Geronimo Apache Naturschutzpark entstehen zu lassen, dann wäre das in seinen Augen „ein Symbol für die Welt, den Krieg gegen die Natur zu beenden und seine indigene Bevölkerung zu achten.“ Er hat das Träumen nicht verlernt. Gleichzeitig gibt er sich keinen Illusionen hin, dazu kennt er das Land, dem er mal in vorderster Front diente, nur zu gut. Er verweist auf den Golfkrieg: „Was riefen unsere Offiziere? Sie riefen: Now we’re going into Indian Country – Jetzt geht’s ins Indianerland. Und das bedeutet: Erst schießen, dann fragen.“

Süddeutsche Zeitung 2010

Publikationen

Publikationen

Publikationen

Kinder sind kein Eigentum – ein Theaterexperiment (mit Diethard Wies), Piper, München 1972

Seit 200 Jahren ohne Verfassung, Rowohlt, Reinbek 1976, 2018

Die Wunden der Freiheit (Hrsg.), Trikont, München 1978; Rowohlt, Reinbek 1980; Lamuv, Göttingen 1999

Indianerschulen – Survival Schools, Rowohlt, Reinbek 1979

Der große Fluß ertrinkt im Wasser (mit Rainer Wittenborn), Rowohlt, Reinbek 1985

Indianische Welten – Der Erde eine Stimme geben (Hrsg.), Rowohlt, Reinbek 1987

Der Tod, der aus der Erde kommt (Hrsg., mit Elke Stollhofer), Anton Pustet, Salzburg 1993

Der Montag, der die Welt veränderte (Hrsg.), Rowohlt, Reinbek 1996

Vom Wesen des Wassers (Hrsg.. mit Georg Gaupp-Berghausen), Frederking & Thaler, München 2006

Uranatlas (Hrsg., mit Horst Hamm), Rosa Luxemburg Stiftung u.a., Berlin 2019

Floyd Westerman

Eagle Eye Bancroft

Eagle Eye Bancroft – The Man Who Made a Difference

Nachruf auf Richard “Dick” Bancroft, den „offiziellen“ Fotografen des American Indian Movement

Von Claus Biegert

Es war eine der sonnigen Mittagspausen, in denen sich die indianischen Delegationen auf der großen Wiese vor dem Palais des Nations in Genf ausgebreitet hatten. Älteste im Federschmuck wurden von Fotografen belagert, dazwischen wimmelte es von Kindern und Jugendlichen, Frauen mit Babies im Tragetuch, es sah aus, als hätten Indianer die UNO besetzt. Und genau das war passiert: Ureinwohner von Alaska bis zum Amazonas waren – mit Kind und Kegel – in die Schweiz gereist, um vor dem UN-Entkolonialisierungsausschuss Zeugnis abzulegen über Rassismus, Unterdrückung, Verfolgung, Landraub. Sie waren singend zum Schlag der Trommel in die UNO eingezogen. Es war im September 1977, für eine Woche ging es bunt und laut zu in den Gängen der Vereinten Nationen.

Vor mir im Gras saß Pat Bellanger aus Minneapolis, eine rundliche, lachende Person vom Stamm der Anishinabe. Ich hatte sie wenige Monate zuvor auf der Franklin Avenue kennen gelernt, dort, wo das American Indian Movement, AIM, seinen Anfang genommen hatte, wo Stadtindianer sich 1968 dem Terror der Polizei widersetzt hatten und nachts dafür sorgten, dass Indianer, die angetrunken heim wankten, nicht verprügelt und eingesperrt wurden; oder vergewaltigt, wenn sie weiblich waren. “AIM Patrol“ nannte sich der Sicherheitsdienst, den es bis heute gibt. Dennis Banks, Clyde Bellecourt, George Mitchell hießen die Männer, die selbst Jahre hinter Gitter verbracht und zur Selbsthilfe gegriffen hatten. Fünf Jahre später in South Dakota, beim Aufstand von Wounded Knee, 1973 im Reservat Pine Ridge, war AIM mit dabei, und die amerikanische Öffentlichkeit.

Darüber sprach ich mit Pat, als sie plötzlich rief: „You should meet Dick, our photographer!“
Auf uns zu kam ein schlanker, drahtiger Mann mit lebhaften Augen, einem entwaffneten Lächeln, Glatze, Vollbart, die linke Hand hielt eine Canon, die rechte streckte er mit entgegen. Dieser feste Händedruck war der Beginn einer Freundschaft, wie sie enger kaum hätte werden können. In den folgenden Jahren reisten wir zusammen – er der Beobachter mit der Kamera, ich der Journalist mit dem Mikrophon – nach British Kolumbien, Quebec, den Dakotas, New Mexico, Arizona, Kansas, Minnesota, Florida, New York, Massachusetts, und immer wieder durch Minnesota; zweimal besuchten wir Leonard Peltier in Kansas im Gefängnis. Die Reisen gingen über das Indianerland hinaus: Dick dokumentierte 1992 das World Uranium Hearing in Salzburg und kam zu den Preisverleihungen des Nuclear-Free Future Award nach Russland, Finnland, Irland, Österreich, Deutschland – ein Anruf genügte. Seine Künste stellte er stets gratis in den Dienst der Sache. Er begleitete AIM-Aktivisten nach Nicaragua, Guatemala, Kolumbien, El Salvador, Nordirland, Libyen und Südafrika; und fehlte natürlich auf keinem Powwow in den Twin Cities.

Pat nannte ihn „our photographer“. Ich fragte nach, und bekam die Antwort von beiden Seiten, lachend fielen sie einander ins Wort.

Dick: “I asked her how I could help…”

Pat: “And I asked him what he does…”

Dick: “I take pictures, I told her.”

Pat: “Then start taking pictures, I told him.”

Das war 1969, vierundvierzig Jahre später, 2013, verlegte die Minnesota Historical Society Press seine umfangreiche Chronik unter dem Titel We Are Still Here: A Photographic History of the American Indian Movement. Dicks Begegnung mit Pat Ballenger eröffnet das große und großartige Buch, für das er die indianische Journalistin Laura Waterman-Wittstock als Co-Autorin gewinnen konnte. Richard Bancrofts Biografie beginnt typisch und nimmt dann Wendungen, wie sie dem typischen Amerikaner aus dem Mittelwesten selten beschert sind. Little Richard, 1927 geboren, hat das Glück, in einem Haus aufzuwachsen, in dem jeden Freitag die neue LIFE in der Mail Box liegt. Er ist neun Jahre alt, als LIFE Magazine auf den Markt kommt. „Ich habe die Hefte verschlungen“, bekennt er später in einem Interview mit FotoEvidence, „ und ich habe mehr von den Bildern gelernt, als von den Texten“.
Der 2. Weltkrieg ist gerade vorbei, als er seinen Highschool Abschluß an der St. Paul Academy absolviert und für ein Jahr zu den Marines eingezogen wird. Nach seiner Rückkehr schreibt er sich an der University of Minnesota ein und sieht sich um nach einem Automobil. Es wird ein Model T, bei der Ausschau nach Girls von Vorteil. 1952 lernt er Debbie Butler kennen; ist die Woche vorbei, Thank-God-It’s-Friday, holt er sie mit seinem Ford Model T ab, ein Jahr später wird geheiratet. Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle Debbies Verlobungsgeschenk: eine Argus C3. Die Kamera ist von nun an immer dabei, also auch auf der Hochzeitsreise. Für diese wiederum taugt der Ford nicht, ein blauer Plymouth ist Wagen Nummer zwei und weiten Strecken besser gewachsen. „Er wollte erst heiraten, wenn der Plymouth abbezahlt ist“, erinnert sich Debbie, „aber dann haben wir uns dagegen entschieden, weil wir nicht mehr warten wollten.“ Mit dem blauen Schuldenmobil geht es in den Westen: „Yellowstone Park , Glacier, Banff, an einem Tag Golf, am nächsten Cross Country Ski“, erinnert sich Debbie, „ aber als wir zurück kamen, war unter meinem Sitz ein Rostloch, der Boden fiel fast runter, wohl gemerkt, die letzte Rate war noch nicht beglichen.“

Seine erste Anstellung ist in einer Versicherungsagentur, sein Büro im Gebäude der First National Bank in Downtown St. Paul. Zur Arbeit fährt er mit dem Model T., Debbie erinnert sich: „Dick parkte das Automobil jeden Morgen vor dem Eingang und schritt, den Autoschlüssel schwingend, durch die Tür. Doch es dauerte nicht lange und er wurde gebeten, den Parkplatz für die Kunden der Bank frei zu halten.“ Der Model T steht heute in der, mit politischen Postern austapezierten Garage am Sunfish Lake, im Süden von St. Paul. Der Radiojournalist Jesse Hardman interviewte ihn vor wenigen Jahren dazu, für Freunde der Familie (und Model T-Fans) ist das wunderbare Tondokument im Netz aufbewahrt: cowbird.com/story/42671/ The Old Man And The New Used Car/?uiid=widget-298288811-42671

Die ersten Kinder kommen, Dick rückt auf in seiner Versicherungsfirma. Man wählt republikanisch, wie es die Eltern schon getan hatten. Trotz der privilegierten Wohnlage in Mendota Heights zeichnet sich ein soziales Bewusstsein ab: Animiert von Freunden, engagiert er sich im Vorstand von Neighborhood House, ebenso dem Hallie Q. Brown House, Einrichtungen für schwarze, benachteiligte Bürger. Die Bürgerrechtsbewegung in Alabama, angeführt von Martin Luther King, fesselt ihn. Als er im März 1965 vom Protestmarsch von Selma nach Montgomery hört, will er dabei sein, doch Debbie hält ihn zurück; er sei ein junger Vater und habe Verantwortung gegenüber seiner Familie, argumentiert sie. Murrend ergibt er sich ihren Argumenten; es soll das einzige Mal sein, dass Debbie ihn von einer Reise abhält.

Die Sechziger Jahre nehmen ihren Gang: Der Bloody Sunday von Selma hat die Bürgerrechtsbewegung verändert, der Krieg in Viet-Nam fordert seine Opfer, die Hippies machen von sich reden, die Indianer wagen ihren Widerstand gegen den American Way of Life, das Land ist unruhig. Debbies Vater und Großvater sterben, die finanzielle Hinterlassenschaft bringt eine Unruhe anderer Art in die Familie: Jetzt ist die Chance, dem American Way of Life zu entkommen, die Chance, auf die USA von außen zu blicken. Dick kündigt, Debbie packt die Koffer. Für zwei Jahre geht die Familie nach Afrika. In Kenia arbeitet Dick als Sozialarbeiter für die Presbytarian Church of East Africa und fängt an, täglich zu fotografieren, vor allem doie Menschen, mit denen er arbeitet. Die Bancroft-Kinder – sie heißen Bill, Ann, Hunter, Carry – lernen Suaheli, die Verwandtschaft in Minnesota kann nur den Kopf schütteln.

Fragt man heute die Kinder nach ihren Eindrücken aus Afrika, dann decken sich die Erinnerungen: Dies habe ihren Lebensweg nachhaltig beeindruckt, hier hätten sie ihren Vater näher und intensiver erlebt, hier hätten sie das erste Mal von außerhalb auf ihre Heimat geschaut. Und: „ Unsere Eltern gingen als Republikaner weg und kamen als Demokraten heim.“ In der neu-demokratischen Familie Bancroft hat das Afrika-Abenteuer noch eine andere Folge – eine Nachzüglerin kommt zur Welt: Sarah.

Sommer 1968. In Kenia werden die Koffer gepackt es geht zurück. Es ist ein heißer August in Chicago, Tausende auf den Straßen, der Protest gegen den Vietnamkrieg schwillt an, 27000 Polizisten sorgen mit Gewalt für „Ordnung“. Die Revolte zur Democratic National Convention ist für die Rückkehrer aus Kenia ein Schock. Außerdem liegt der Mord an Martin Luther King noch in der Luft. Zurück in Minnesota stellt sich für Dick die Frage: Zurück in die Versicherungsgesellschaft? No way! Er beschließt, sein Geld von nun an als Immobilienmakler zu machen. Später wird er über sich spotten: “Ich war alles, was Indianer hassen: Versicherungsagent, Missionar, Immobilienhändler.“

1968 gründet sich in Minneapolis-St.Paul das American Indian Movement. Im Jahr drauf – Bancroft gehört inzwischen zum Gesundheits-Komitee (Health and Welfare Planning Committee) der gemeinnützigen Organisation „United Way“ in St. Paul – liegt ein Antrag von AIM vor, für 25.000 Dollar. Bancroft soll den Antrag überprüfen. Dabei trifft er Pat Ballenger. Dem Antrag wird statt gegeben. Dick fragt Pat, wie er AIM helfen könne. Der Rest ist Geschichte.

Dicks erstes AIM-Abenteuer war die Besetzung des Winter Dam, der auf Stammesland von Lac Courte Oreilles liegt und für den Northern States Power nur eine lächerliche Miete zahlte. Es war eine Überraschung für das Wachpersonal, dass eine Woge von Indianern plötzlich alle Räume besetzte. Die Männer verließen wortlos die Anlage. Dann läutete das Telefon. Alle schauten sich an: Antworten oder klingeln lassen? Bancroft löste diese Frage ohne lang zu zögern, ergriff den Hörer und rief : „Here is the Man on the dam!“ Der Rest ist Geschichte: Die Anishinabe konnten mit Northern States Power ein Abkommen schließen, das ihnen erlaubt, die Wasserkraft selbst zu betreiben und zu nutzen.

Wann immer ich das Haus Bancroft am Sunfish Lake betrat, begann ein Austausch von Geschichten. Dick führte das große Wort, seine Eloquenz war nahezu unschlagbar, aber auch Debbie und die Kinder entpuppten sich als Geschichtensammler. Ich fühlte mich in meinem Element. Die täglichen Besucher lieferten ihre Erlebnisse ab, ich durfte dabei sitzen und die Szene genießen: Da war Emil, der Bauer, der Ice Fishing über alles liebte und seinen Fang immer mit den Bancrofts teilte; da waren die verschiedenen Baumbeschneider, die durchs Geäst turnten; da war Bear, die gute Seele der Stadtindianer; da waren die engagierten Journalisten Mordechai Spector und Jesse Hardman, die heiße Diskussionen liebten; da war Vernon Bellecourt, der brillante Denker von AIM; da war Larry Long, der Mississippi-Troubador; da waren der Sänger Floyd Red Crow Westerman, der nie ohne Gitarre kam, und der Singer-Songwriter Mitch Walking Elk, der auch ohne Gitarre kam; da war Marv Davidov, die linke Stimme von Minnesota; da war die junge Anti-Atom-Kriegerin Winona LaDuke, die uns – Dick und mich – als erste ins Vertrauen zog, als sie schwanger war. Als Dennis Banks auf seiner Reise vom souveränen Onondaga Nation Territory zum Gerichtshof in Rapid City, SD am Sunfish Lake eine Ruhepause einlegte, war ich leider nicht zugegen.

Es war jedes Mal wie eine Lektion in Oral History: Geschichten wurden sowohl von Dick als auch den Besuchern immer wieder mit Begeisterung erzählt, ohne dass Debbie hinter der Küchentheke daran erinnert hätte, dass sie das gerade Erzählte schon 27mal gehört hatte. Ich finde das erwähnenswert, weil ich aus einer Welt komme, in der man sich entschuldigt, wenn man eine Geschichte mehrmals erzählt. Es war übrigens die erste Lektion, die ich 1973 bei meinem Betreten der indianischen Welt von den Mohawks in Akwesasne erhalten hatte: Nur wenn eine Geschichte von vielen immer wieder erzählt wird, kann sie Bestandteil eines kulturellen Schatzes sein, der allen gehört.

Ende der Siebziger Jahre war das Bancroft-Haus auf Mendota Hights abgebrannt, die Versicherungszahlung erlaubte einen Neubau. Gleichzeitig befand sich in großes, hügeliges Stück Land gerade im Besitz des Real Estate Agenten Bancroft. Er beschloss, davon keine Scheibe abzuschneiden und beauftragte Mike McGuire, einen Freund der Familie, ein Haus zu entwerfen, das man zwischen den Bäumen kaum wahrnehmen würde, mit einer fast unsichtbaren Haustür, das aber über 6 geräumige Zimmer und noch viel Raum dazu verfügen sollte. Der Töpfer Peter Leach, auch ein Freund der Familie, sollte für drinnen Teller und Tassen schaffen, die zu den Bäumen draußen passten.

Töpfer und Architekt haben ganze Arbeit geleistet. Selbst die Tierwelt lässt sich bis heute täuschen: Truthähne, Spechte, Adler, Waschbären, Coyoten, Gänse, Rehe, Schildkröten treffen sich vor dem Haus 100 Windy Hill Road zum Stelldichein und vermehren sich, so, als seien sie fern jeglicher Zivilisation. Wenn die Kinder anriefen oder wenn Sarah von der Schule heim kam, fiel immer öfter der Satz „Oh Mom, oh Dad, not another animal story!“ Debbie hat mir das erzählt.
Das Anwesen von Sunfish Lake wurde ein Magnet. Der Wald bietet eine Rückzugsmöglichkeit, wie man sie südlich von St.Paul kaum vermutet. Es konnte nicht lange dauern, bis Dicks AIM-Freunde die Möglichkeit einer Schwitzhütte ansprachen. Und wie zu erwarten, lud er sie ein, auf einem Hügel seines Hügellandes ein spirituelles Camp zu errichten. Viele Jahre war der Samstagnachmittag für Mitch Walking Elk reserviert, der mit Jugendlichen Sweatlodge-Zeremonien abhielt. Dann konnten die Bäume hören, wie unter ihnen „Metake Oyasin“ zum Feuer gesprochen wurde. Wir sind alle verwandt. Welch passende Formel für das Bancroft-Land, dessen Besitzer sich mit allen Bäumen und Tieren um sich herum verwandt fühlte. Bear Crondike, die gute Seele von AIM, kümmerte sich um die Basics: Holz und Steine und Wasser.

Klopfen an der Tür:

Come in!

Debbie, it’s Bear!

I can see that, Bear, – what do you need?

Can we have some water, Debbie?

You can have all the water you can carry, Bear!

Dicks tägliche Droge war bis zuletzt Amy Goodmans Radio-Magazin „DemocracyNow!“, früh um 8.00. Die einzige unabhängige, überregionale Politsendung wurde von New York aus ausgestrahlt. Seine Socken zog er vorher an, die Schuhe danach. Sein Kommentar zu Amy: „She’s doing a heck of a job. She is my woman!“ Nach der Sendung klingelte manchmal das Telefon, die Anrufer wollten sich mit ihm austauschen, da sie die Sendung auch gehört hatten. „It’s sickening“, hörte ich ihn dann sagen. Das sagte er immer, sobald es um die Welt ging, die aus dem Ruder gelaufen war. Am Schluß der Telefonate sagte er manchmal: „I am having a ball. We have our own cook here.“ Ich kochte sehr gerne in der Küche am Sunfish Lake, da der Kühlschrank immer voll war und alles, was ich auf den Tisch stellte, von Dick und Debbie überschwänglich honoriert wurde. War jedoch die Zeit der Morcheln gekommen, ergriff Dick selber die Pfanne.

Als Ann, die älteste Tochter der Bancrofts, 1986 an einer Expedition von Will Steeger teilnahm und als erste Frau den Nordpol erreichte, zu Fuß wohl gemerkt, da kam es immer wieder vor, dass Fremde, die er kennen lernte, ihn fragten: „Are you the father of Ann Bancroft?“ Das war ihm eine Wonne. Als Ann auf dieser historischen Reise übers Eis einmal aus einer Spalte gezogen werden mußte, erzählte Dick daheim davon, als sei er selbst ins Wasser gefallen.

Einmal kam ich im Jahr 2000 zu Besuch, als gerade die Verhandlungen in Camp David zur Gründung eines palästinensischen Staates gescheitert waren. Dick hatte seinen Bart geopfert, geblieben waren ganz kurze Stoppeln. Er sah meinen Blick, strich sich über die Wangen und sagte: „My solidarity with Jassir Arafat.“ Und dann erzählte er mir, dass er Miteigentümer der „Jewish World“ geworden sei, der in Minneapolis erscheinenden Zeitung, herausgegeben von Mordechai Spektor. Für Bancroft kein Widerspruch. Er hatte keine Feindbilder, er liebte die Menschen. Hinter Arafats Bartstoppeln sah er die verzweifelten Palästinenser, hinter der „Jewish World“ die Friedenssuchenden in Israel.

Wir alle sind dankbar für das Geschenk des Schöpfers das Dick Bancroft gerufen wurde – O-Ton Debbie: „To be honest I hate to yell all over for Dick, because its the name for penis, but what the heck“ – wir sind alle dankbar, dass wir zu denen gehören, die kleine und große Strecken mit ihm gehen durften. Die größte Strecke bist du mit ihm gegangen, Debbie! Und der Tod eures Sohnes Bill 2004 war eine schwere Prüfung für euch. Die Gesänge eurer indianischen Freunde haben eure verletzten Herzen besänftigt.

Kurz vor seinem 91. Geburtstag, in der Nacht zum 16. Juli griff er um 2.00 AM zum Telefon, gab seinen Töchtern Ann und Carrie und seiner Frau Debbie die Möglichkeit, an sein Bett zu kommen. Um 2.30 wechselte er die Welten, wie es bereits viele seiner AIM-Freunde vor ihm getan hatten.

Wie schließt man den Nachruf auf eine Legende? Ich versuche es mit einem seiner bevorzugten Witze aus dem Indianerland.

There was a Beauty Contest on Pine Ridge… yes, and? …. Well, nobody won!